Anno 2006: 350 Jahre Jakobi-Markt Mastholte

Von Bert Bertling 01.03.2006 ( vereinzelte Passagen nachträglich geändert)

Die Mastholter  können im Jahre 2006 wieder ein Jubiläum feiern. Nach der eindrucksvollen 700-Jahr-Feier anno 2000 anlässlich der ältesten Erwähnung Mastholtes in der Geschichte steht im Juli die älteste Erwähnung des berühmten Jahrmarktes JAKOBI in Mastholte zum Jakobus-Datum am 25. Juli an. Teil des Fest ist der berühmt/berüchtigte Ball am Vorabend. Die frühesten Erwähnungen in der Heimatforschung werden allenthalben  zum Anlass genommen, der langen Tradition eines Ereignisses oder einer Ortschaft zu gedenken und sie zu feiern.

Als Beleg für einen Jakobi-Markt im Jahre 1656 gab es bis dato nur eine Erwähnung im Buch des Lippstädters Helmut Klockow, der 1964 schrieb: „Als am 25. Juli 1656 ein großer Teil der Bürger in Mastholte auf dem Jakobimarkt Vieh kaufte oder verkaufte, schlug wiederum ein Blitz ein; da es an Menschen zum Löschen fehlte, wurde eine große Anzahl Häuser ein Raub der Flammen.“ (1) Klockow teilt uns allerdings seine Quelle nicht mit.

Möglich, dass Klockow die Heimatblätter des Patrioten von 1930 vorlagen, die in der Nr.6 im Juli 1930 den Titel „Großfeuer im alten Lippstadt“ veröffentlichten. Der Artikel geht ausführlich auf die drei großen Stadtbrände in Lippstadt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein, die einen Großteil der Häuser des Spätmittelalters und des 16. bz. frühen 17- Jahrhunderts vernichteten. (2)

HEINRICH SCHOLAND

Der Aufsatz  in den  Heimatblättern stammt von Heinrich Scholand, der sich ausführlich mit der Brandbekämpfung im 17. Jahrhundert beschäftigt, der die drei Daten mit den Lippstädter Großbrände (1642, 1656 und 1676) nennt, wobei die ersten beiden Brände nach Scholand durch Blitzschlag verursacht worden waren. Scholand nennt ebenfalls  keine Quelle, wenn er schreibt „… so heißt es: …“

Unter dieser „Quelle“ steht bei ihm: „Am 25. Juli 1656 war die Jakobi-Kirmes in Mastholte. Ein großer Teil der Lippstädter Bürgerschaft hatte sich dorthin begeben. Gegen Mittag zog ein heftiges Gewitter über die Stadt, wie es seit Menschengedenken nicht gewesen war. Ein Blitzstrahl zündete, und in kurzer Zeit wurden 336 Häuser in Asche gelegt. …“ Im Artikel heißt es weiter unten: „1756 den 6. August (nach der verbesserten Zeitrechnung) (3), an welchem Tage es accourat hundert Jahr war, als diese Stadt im Jahre 1656 auf den 6. August durch ein Gewitter größtenteils in Asche gelegt worden, wurde in allen hiesigen Kirchen dieserhalb ein Erinnerungs-, Lob- und Bußfest gefeiert.“ (3)

Johann Arnold Möllers, Ende des 18. Jahrhunderts Bürgermeister von Lippstadt, schrieb ein umfassendes Werk über die Geschichte der Stadt. In dieser Chronik finden wir auch den Hinweis auf den Jakobi-Markt schon im Jahre 1656.

Dennoch kamen wir durch diese Quelle ein Stück weiter, gebraucht Scholand doch ziemlich genau  Worte, die der vormalige Lippstädter Bürgermeister Arnold Möller in seinem Buch „Special Geschichte von Lippstadt“ im Jahr 1788 verwendete. Arnold Möller bezieht sich in seinem Buch, wenn auch nicht speziell in diesem Fall Mastholte, generell auf die Akten und Chroniken seines Bürgermeisteramtes, in die er ja problemlos Einsicht nehmen konnte, wenn er „Die Special Geschichte von Lippstadt“ niederschrieb.  (4)

Arnold Möller, Bürgermeister und Geschichtsschreiber in der Stadt Lippstadt in der 2. Hälfte des 18 Jahrhunderts

BÜRGERMEISTER ARNOLD MÖLLER

Dort hat er auch mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit die Bemerkungen über den zweiten Lippstädter Stadtbrand mit den enormen Ausmaßen von 336 zerstörten Häusern gefunden. Zudem gedachte man damals bereits 100 Jahre lang dieses Ereignisses. Aus Möllers Bericht entnehmen wir noch eine weitere Einzelheit. Doch erst der genaue Text von 1788:

Das ist deutlich. Aber es bleiben interessante Fragen:

KIRCHNEUBAU UND MARKT

Schauen wir genau hin: Der „2 Stunde von hier entlegene Mastholter Markt“ ist das heutige Dorf Mastholte, denn vom Ortskern Lippstadt bis zum Ortskern dort sind es ziemlich genau 10 Kilometer! Das hätte zu bedeuten, dass der Markt zu Jacobi bereits an der neu errichteten Kirche, die man 1653 zu bauen begonnen hatte, stattfand. Geweiht wurde sie erst 1659. Feierte man also damals schon Gottesdienst in der neuen Jacobi-Kirche? – Oder       hatte der Markt seinen Namen ausschließlich vom Jakobi-Datum 25. Juli?

Letzteres erscheint mir am plausibelsten, wenngleich der Pfarrpatron vom Hl. Antonius zu St. Jakobus dem Älteren, dem Heiligen in der Dauerwallfahrt nach La Compostella in Spanien wechselte. (6) Anzunehmen, der Markt sei auch eine Station der Jakobus-Wallfahrt, dafür fehlt es nach wie vor an archivalischen  Quellen.

Geweiht wurde St. Jakobus  erst 1659 durch den Osnabrücker Bischof, dem die Pfarre damals noch unterstand; erst seit 1823 gehört die Grafschaft Rietberg zu Paderborn. Der Kirchbau verzögerte sich ja, weil der Bielefelder Baumeister Armst zwischenzeitlich verstarb und auch die Mittel kurz nach Ende des 30-jährigen Krieges nicht so reichlich flossen. Der Kirchturm wurde gar erst 1691 vollendet. Hätte denn vorher der Markt noch im heutigen Mastholte-Süd stattgefunden? Fragen, für deren Beantwortung die Akten nichts hergeben. Nur dies doch: Wenn der Markt seinen Namen nicht von der Kirche, sondern vom Datum her schon immer hatte, dann ist er wohl noch viel älter als 350 Jahre. Aber zum ersten Mal wird er im Jahr 1656  erwähnt. (7)

Heinz Heckemeier schuf ein sehr schönes Ölgemälde vom Jakobi-Pferdemarkt

Der Ball am Vorabend von Jakobi

Und nun zum Ball, der ja eng mit dem Mastholter Fest verbunden ist:

Im Jahre 1656 ist also in Mastholte schon ein Jahrmarkt oder  auch Viehmarkt nachgewiesen. Wahrscheinlich zusammenhängend mit der gerade errichteten neuen Kirche in Mastholte, der Jakobikirche. Ein Markt, der sich zunehmend als Pferdemarkt qualifizierte und das hatte seine Gründe:

Zum einen lag der Termin zu Beginn der Erntezeit. Die Bauern betrachteten ihren „Bestand“ an Pferden unter dem Blickwinkel der anstehenden Erntearbeiten und handelten und tauschten auf einem solchen Markt, bis dass das vermeintlich richtige Pferd für die kommenden Arbeiten im Stall stand. Es konnte durchaus sein, dass nach getaner Erntearbeit auf einem der Nach-Erntemärkte, die gewöhnlich südlich von Mastholte in der Soester Börde stattfanden, der „alte  Klepper“, für die schwere Erntearbeit ungeeignet, für die Winterzeit wieder eingehandelt wurde.

Solche „Geschichten“ werden mit entsprechend ausgemaltem Kolorit noch heute in Mastholte allenthalben erzählt. Ist doch der Pferdemarkt bis nach dem 2. Weltkrieg noch von hoher Bedeutung für die Landwirtschaft in unserem Raum gewesen. Der Pferdemarkt mag der Grund dafür gewesen sein, dass spätestens ein Jahrhundert nach Gründung des Marktes die im Pferdehandel erfahrenen Sinti und Roma, nach Mastholte kamen, um sich am Markt zu beteiligen.

SINTI UND ROMA

Der Kaunitzer Wenzel Anton, Mitte des 18. Jahrhunderts über 40 Jahre österreichischer Kanzler und auch Rietberger Landesherr, hatte seinen Untertanen in Mähren und Böhmen die drei Pferdemärkte in Ostwestfalen empfohlen: Wilbasen bei Detmold, Schloss Holte und Mastholte!

Sinti und Roma – so eigentlich heißen die beiden Volksgruppen, die später dann als eine Gruppe genannt wurden. Der Name beschreibt ihre Lebensweise als fahrendes, ziehendes Volk – als umherziehende Gaukler, also Künstler und Händler (auch von Vieh und Pferden) auf den Jahrmärkten. Die Volksgruppe der Sinti wird schon seit dem Mittelalter in deutschen Landen verzeichnet. Die Roma mit offenbar gleicher Lebensweise kamen vor etwa 150 bis 200 Jahren vom Balkan her dazu. Ursprünglich stammen beide Volksgruppen aus Vorderindien. Sie wurden dort durch Krieg und Unruhen vertrieben.

In selbstgebauten Wohnwagen, den typischen des    fahrenden Volkes, erschienen Sie am Tage vor Jakobi – manchmal waren es bis zu 20 solcher Wagen. Bis nach dem 2. Weltkrieg erinnern die Mastholter dieses Schauspiel:

Ihre schwarzen Kastenwagen waren behangen mit Körben, Kannen, Tonnen, Pfannen und anderen Geräten, die im Haushalt gebraucht werden konnten. Unter dem Wagen hing der Geflügelkasten, aufgehängt an vier Ketten, darin gackerten Hühner, quakten Gänse. An den Seiten sprangen kleine und große, gemischtrassige Hunde – je nach Gefährlichkeit – an der Leine oder frei herum. Manchmal ein Pony, in der Regel aber ein kleinwüchsiges Pferd zog diese Fracht die damals noch holprige Dorfstraße hinunter.

PFERDEHANDEL UND KRAMMARKT

Auf dem Bock saß, die Peitsche schwingend, das Oberhaupt der Sippe mit markantem Oberlippenbart, schwarzer Kleidung und bunten Accessoires. Am hinteren Ende trotteten angebundene Ponys oder auch ausgewachsenen Pferde, die alle Handelsobjekt für den Jakobimarkt waren. Auf der Dorfstraße machten dann die Kinder schon einmal darauf aufmerksam: Heut ist ein besonderer Tag in Mastholte: Heut ist der Ball! Es war nämlich Abschluss der Saison der Vor-Erntezeit vor allem mit dem Pferdhandel. Und die meisten aus dem norddeutschen Raum trafen sich dann in Mastholte!

Die Anwesenheit in einem Ort unterlag strengen Auflagen und Ermahnungen der preußischen Obrigkeit. Unter anderem hatten die Sinti und Roma nur 24 Stunden Aufenthaltsrecht in einer Gemeinde. Am selben Abend aber feierte man traditionsgemäß. Man gab nicht viel um diese strengen Ermahnungen. Dieser Tag vor Jacobi war ihr Fest im Jahr – das Fest der Händler, nicht das Fest der Mastholter!

In Mastholte entzündete man das Lagerfeuer, Musik spielte auf, es wurde getanzt und gesungen. Ein lebensfrohes Volk sind die Sinti und Roma bis heute. Ihre Musik, manchmal ein wenig schwermütig, ihre Tänze, Ausdruck reicher Empfindungsfähigkeit und Leidenschaft – Musik und Tanz sind vor allem in Ungarn zuhause. Vielleicht aber haben diese beiden Stämme auch dieses Temperament dorthin gebracht. Dieses urwüchsige Temperament, das volle Leben, das hier in Mastholte so schwer nachvollziehbar war und bleibt. (8)

Heute heißt der Vorabend des Jakobi-Marktes in Erinnerung an die Sinti und Roma noch heute Ball. Wenn auch keine Sinti und Roma mehr anzutreffen sind (das letzte mal übrigens 1989!), so ist doch für die Mastholte dieser Abend unter seinem Titel „Ball“ ein Fest im ganzen Dorf, in allen Gaststätten und an den Ständen zum Jakobi-Markt entlang der Dorfstraße. Zum Datum: Der Ball mag also etwa 100 Jahre jünger sein als der Jakobi-Markt mit dem Handel von Vieh, Pferden und Kram und Trödel! Seit Anfang des 20. Jahrhunderts kam auch mehr und mehr eine Kirmes hinzu. Außer den Pferden ist alles bis heute im Handel auf dem Markt, der regelmäßig von über 20000 Menschen besucht wird. (9)

Anmerkungen

  1. Helmut Kockow „Stadt Lippe – Lippstadt“, Seite 159
  2. Vergl. W. Ehbrecht (Hg.) „Lippstadt – Beiträge zur Stadtgeschichte“, 1985, Kapitel „Stadtbrände des 17. Jahrhunderts“, Seite 403 f
  3. Seit der Zeitenwende zählten die Astronomen  das Jahr mit 365 Tagen und einem Viertel Tag. Dafür war der  29. Februar als Schalttag alle 4 Jahre notwendig, damit über längere Jahre die Jahreszeiten mit dem Kalender übereinstimmten. Im Jahre 1582 aber stellten die Astrologen von  Papst Gregor der XIII. fest, das Jahr hat 11 Minuten und 14 Sekunden weniger als 365 1/4 Tage, wenn man den Himmel genau beobachtete. Der Frühling  begann nach ihren Mondbeobachtungen damals bereits 14  Tage zu spät. Der Kalender wurde um 14 Tage zurück geschrieben. Das fand zur Zeit unserer Darstellung im 17. Jahrhundert zögerlich auch in unseren Breiten statt.
  4. Heinrich Scholand in „Heimatblätter Lippstadt 1930, Nr. 6, 12. Jahrgang, 26. Juli, Seiten 21 + 22
  5. Arnold Möller ….
  6. ebenda, Seite 343
  7. Vergl. Bert Bertling „Mastholte – Die Geschichte zweier Gemeinden“, 1997, Kapitel „Von Antonius zu St. Jakobus“, Seiten 101 ff
  8. ebenda
  9. Vergl. meine Darstellung in „700 Jahre Mastholte“ in Jubiläumsschrift zur 700-Jahr-Feier der Ortschaft Mastholte“, 2000, Seite 30 ff