Dreschtage um 1960: Eine Kindheitserinnerung

Als Kind war für mich die Landwirtschaft und deren Arbeitswelt immer etwas Besonderes. Ende der 1950er und Anfang der 60er Jahre, ich war damals zwischen 8 und 12 Jahre alt, verbrachte ich die meiste Freizeit auf verschiedensten Bauernhöfen in unserer Nachbarschaft. Es gab ja noch reichlich davon.

Darunter gab es größere Betriebe, die schon mit Traktor und den unterschiedlichsten Maschinen ausgestattet waren, dennoch auf die Dienste der Pferde nicht verzichteten, aber auch kleinere Landwirtschaften wie bei unserem Nachbarn, einem Kleinstlandwirt. Tagsüber verrichtete er seinen Dienst bei der örtlichen Poststelle, danach arbeitete er auf seinem kleinen Grund und Boden. Es war im Kleinen wie im Großen: Tiere, Wiesen und Felder, Kartoffeln, Runkeln und Getreide in den bekannten Sorten gab es überall,  nur auf den kleinen Bauernhöfen eben weniger und es war alles, zumindest für uns Kinder, überschaubarer. Hierdurch gewann ich viele Eindrücke in die unterschiedlichsten Tätigkeiten: Neben den vielen Arbeitsbereichen war für uns Kinder im Herbst das Dreschen der Höhepunkt.

„Der Dreschkasten kommt!“

Wir konnten es kaum noch erwarten. Aus der kindlichen Perspektive ein riesiger hölzerner Kasten auf Rädern, von einem grünen Trecker gezogen, fuhr er auf das Hofgelände. In der Einfahrt stand ein Birnbaum mit tief runterhängenden Ästen. Wie ein Kamm durchstriff der Aufbau der Dreschmaschine das Geäst. Über das Birnenobst, das herunter fiel, durften wir uns hermachen. Darauf wurde streng geachtet, denn nur Fallobst war für den Sofortverzehr. Pflückobst wurde eingekocht und eingewintert.
Mit vielen Treibrädern und ebensoviel Antriebsriemen an beiden Seiten ausgestattet war diese Maschine für mich ein technisches Wunderwerk. Die Scheunentore waren geöffnet. Nach einem kurzen Gespräch zwischen dem Bauern und dem „Dreschkastenmann“, so bezeichneten wir Kinder den Lohndrescher, wurde das Ungetüm langsam in die Scheune gefahren. Die beidseitig in der Banse eingelagerten Getreidegarben begrenzten den seitlichen Aufstellplatz der Maschine. Die Dreschmaschine wurde aufgebockt, Kaffrohre nach draußen verlegt und das Stromkabel für den Antriebsmotor ausgerollt. „Unser“ Dreschkasten war schon ein etwas modernerer, der hatte bereits einen eingebauten Elektromotor.  Ältere wurden noch über einen langen Flachriemen vom Trecker aus angetrieben. Das eine Ende des Kabels war mit schraubbaren Klemmen versehen, die mittels einer langen hölzernen Stange an die nächstliegende Freileitung von unten her angelegt wurden. Die Gefährlichkeit des elektrischen Stromes war mir bekannt und deshalb bewunderte ich den Mut des Mannes.

Nun war es so weit! Der Probelauf begann. Der Motor fing langsam an sich zu drehen und somit kam Bewegung in die Treibriemen. Ein Teil der angetriebenen Räder drehten sich in die eine Richtung, die anderen wiederum anders herum. Ein dumpfes, noch vom Dreschvorgang des Vorjahres vertrautes Brummen, machte sich in der Scheune breit.
Nach kurzer Zeit hatte der Motor seine höchste Drehzahl erreicht. Das Brummen hatte sich zu einer enormen großen Geräuschkulisse entwickelt.
Eine Unterhaltung untereinander war nicht mehr möglich, nur  das Nötigste wurde noch miteinander ausgetauscht, indem wir unsere Köpfe zusammensteckten. Der Maschinist kontrollierte die immer schneller laufenden Riemen auf ihre Straffung. Mit einem großen Löffel ließ er Rübenkraut auf ihre Innenfläche laufen. Dieses schwarze, klebrige Gold, das ich auch gerne als Brotaufstrich aß, verhinderte ein Durchrutschen des Treibriemens. Auf jedem Hof gab es Rübenkraut in größeren Mengen. Sogar in zehn Liter Blecheimern habe ich es gesehen.
Wenn gedroschen wurde fassten viele Helfer mit an. Zwischen zehn und zwanzig Personen waren nötig.
Die großen Bauern hatten für die alttägliche Arbeit einen eigenen Knecht. Wenn es mehr Arbeit war bestellten sie sich eine „Kolonne“. Justizgefangene waren preiswerte Helfer in der Landwirtschaft. Man erkannte sie an den blauen Arbeitsanzügen, mit den Initialen JV, für Justizverwaltung, auf dem Rücken. Man sah sie als Einzelgänger oder bei umfangreicheren Arbeiten, z.B. in der Ernte, auch als Kolonne auf den Höfen unter der Aufsicht eines Justizbeamten.

Die Maschine lief prima! Der „Dreschkastenmann“ war der perfekte Mechaniker. Mit seinem Startzeichen ging es los. Das Einwerfen der Garben in den Drescher und der damit beginnende Dreschablauf entwickelten einen enormen Staub, der sich in der ganzen Scheune ausbreitete. Die Helfer waren kurzfristig nicht mehr zu sehen. Das immer wieder auf- und abschwellende Brummen der Maschine vermittelte uns Kindern wie schnell der Einleger arbeitete. Der Einleger war ein Mann, der dafür zu sorgen hatte, dass die Getreidegarben in einem gleichmäßigen Abstand oben in den Drescher eingeworfen wurden.

Das gedroschene Korn wurde über ein Gebläse und ein Rohrsystem auf die Kornbühne geblasen. Bei anderen Dreschsätzen wurde das Getreide in große Säcke gefüllt und über einen so genannten Sackheber auf die Schulterhöhe eines kräftigen Helfers angehoben. Dieser nahm ihn auf seinen Rücken, trug ihn dann auf die Kornkammer oder setzte ihn auf einem bereitgestellten Wagen ab.
Die Spreu, die aus dem Kaffrohr ausgeblasen wurde, sammelte sich zu einer Anhäufung. Der starke Luftstrom, der das Rohr mit Strohsplieten und Grannen versetzt verließ, war für uns Kinder immer eine besondere Herausforderung. Wer hielt es am längsten in dem, wie mit feinen Nadeln gespickten Wind aus. Wie kleine Geschosse prasselten sie auf unsere bloßen Arme und Beine.
Das Stroh verließ den Dreschkasten auf der Rückseite. In große Bunde gepresst rutschte es über eine Stangenführung weiter auf den Strohboden.

Wenn die letzten Garben aufgenommen wurden, wurde es noch mal für alle spannend. Die Männer steckten sich die Hosenbeine in die Strümpfe. Der Hofhund und die Katzen, die das ganze Geschehen vom Vorjahr noch kannten, positionierten sich. Mäuse über Mäuse sausten von einer Ecke in die andere sobald der Scheunenboden zum Vorschein kam.
Unter jeder Strohansammlung suchten sie Deckung. Eine gemeinsame Jagd von Mensch, Hund und Katze in seltener Einigkeit begann. So lange hatten die kleinen Nager einen sicheren Unterschlupf mit überreichlicher Nahrung vorgefunden. Innerhalb ein paar weniger Stunden war alles vorbei – für Jäger und Gejagte.

Wenn der Dreschkasten verstummte, den Hof verlassen hatte und ausgefegt war, kehrte wieder Ruhe ein. Für uns Kinder waren Ernte und Dreschtage ein vielschichtiges Ereignis. So   hatten die Helfer ihr Aussehen durch  Schweiß und Staub zum Fürchten verändert. Man erkannte sie oftmals nur an ihrer Stimme. Um die Stimmbänder vom Dreck zu reinigen, gab es den sog. „Schluck“. Viel Staub – viel Schnaps. Auch zwischendurch.  Es staubte immer reichlich. Das haben wir als Kinder damals schon festgestellt – auch am ständig sinkenden Pegelstand der Schnapsflasche.

Die Mühe und Arbeit um das tägliche Brot, das sie als Gottesgabe ansahen, hat die Menschen mit Ehrfurcht erfüllt. Nie wurde ein Stück Brot weg geworfen. Reste bekam allenfalls das Vieh. Heute, bei der leichten Handhabung der Ernte und dem großen Angebot von so vielen Brotsorten erscheint einem die Ernteeinbringung unserer Eltern und Großeltern als Mühe und Plage. Das war sie wohl auch, aber so, wie sie gesellschaftlich dargestellt wurde, bleibt sie ein Detail einer gemeinsamen Erinnerung, die unauslöschlich ist und verbindet.

Gisbert Schnitker.

März 2010