Landwirtschaftliche Arbeitswelt – Das Portrait eines Lohndreschers

Die Geschichte des Lohnunternehmers Wilhelm Rodejohann und seiner Frau Luise aus Mastholte.

Mit dem 19. Jahrhundert kam es zu einem tief greifenden Wandel in den Arbeitsweisen und Werkzeugen der Bauern. Die Mechanisierung der Landwirtschaft führte zu einer enormen Steigerung der Erträge.

Der rasante technische Fortschritt des 20. Jahrhunderts überforderte die bäuerlichen  Betriebe. So entstand der Beruf des heutigen landwirtschaftlichen Lohnunternehmers. Das oftmals fehlende technische Wissen und besonders die hohen Anschaffungskosten von Geräten ließen es nicht zu, dass sich jeder Hof einen entsprechenden Maschinenpark zulegen konnte. Daraufhin entwickelten sich  auch in unserer Region selbständige Unternehmungen, die die Bauern bei ihren Arbeiten gegen Lohn unterstützten. Oft entstanden sie aus kleinbäuerlichen Betrieben heraus. Die Entwicklung verlief sehr rasant: Vom Lohndrescher mit einfachem Dreschsatz zum heutigen Agrar-Service mit modernsten Maschinen zur Feldbearbeitung, Feldbestellung bis zur Ernte.

Der Landwirt Heinrich Rodejohann war als 39-Jähriger um 1923  Lohndrescher. Die Landwirtschaft und die jahreszeitlich begrenzte Arbeit des Lohndreschens waren sein Einkommen.

Die ersten Anschaffungen des jungen Unternehmens waren eine Dreschmaschine von Carl Geringhoff aus Ahlen in Westfalen und ein gebrauchtes Lokomobil aus dem Jahr 1902 von Heinrich Lanz.

1935 kaufte Heinrich Rodejohann einen Lanz Schlepper 22/28 PS
Heinrich Rodejohann um 1925
Firmenschild von Heinrich Rodejohann
Gegen Inzahlungnahme der Geringhoff Dreschmaschine wurde 1938 eine größere Dreschmaschine der Firma Buschhoff aus Ahlen in Westfalen angeschafft.
Kompletter Dreschsatz Lanz Bulldog, Dreschmaschine, Strohpresse, Motorwagen und Dieselfaß

Sohn Wilhelm, geboren am 25.4.1922, weitete ab 1946 die Pionierarbeit seines Vaters weiter aus. 1954 übernahm er offiziell den Betrieb und baute ihn mit der Unterstützung seiner Frau Luise zu einem Vollerwerbs-Lohnunternehmen aus. Der materielle Wert des Unternehmens wurde zu diesem Zeitpunkt auf DM 6.000,- festgelegt.

Gut zehn Jahre nach dem Beginn der Serienproduktion von Selbstfahrer Mähdreschern kaufte „Rodejohanns Willi“, so nannte man ihn, 1963 seinen ersten Mähdrescher. Es war ein „Claas Matador Gigant“ mit Presse für DM 28.000.

Die inzwischenverstorbene Luise Rodejohann erinnert sich:

„ Jetzt ging es bergauf!  In den folgenden fünf Jahren investierten wir mit einem enormen Risiko verbunden viel Geld für den Ausbau des Betriebes. Private Wünsche wurden verdrängt oder zurückgestellt. Alles drehte sich um das Geschäft und das Abtragen der Schulden“.

Willi Rodejohann blieb dem Produkt Claas treu.
1964 kaufte er einen weiteren Mähdrescher vom Typ „Matador Standard“ für DM 23.000,-. 1967 folgte der 1. „Mercator“, Preis DM 35.500,-. 1969 kam noch der „Senator“ für DM 38.850,- hinzu, der „Gigant“ wurde zurückgegeben. 1970 folgte ein weiterer „Mercator“, mit diesem Kauf ging der „Standart“ in Zahlung.

Die zusätzlich benötigten Fahrer waren Saisonhilfskräfte aus Mastholte und der näheren Umgebung. Trotz der vier Mähdrescher setzte man für die kleineren landwirtschaftlichen Höfe weiterhin die Dreschmaschine ein.

Die Kleinstbauern fuhren mit ihrem Getreide zur Dreschmaschine auf einen Dreschplatz. Sie bezahlten pro Dreschminute 30 Pfennige. Zu den größeren Bauern kam der Dreschsatz nach Hause. Hier wurde in der Scheune gedroschen. Sie bezahlten pro Dreschstunde 8 DM (beide Preise um 1955).

Landwirte, die über 30 Morgen bewirtschafteten, haben in zwei Etappen gedroschen – Anfang August und um Weihnachten / Neujahr. Höfe über 80 Morgen droschen zusätzlich noch einmal in März / April.

Das Unternehmen stellte zwei Mann zum Dreschsatz. Willi Rodejohann selbst als Maschinenführer und sein Bruder Heinrich als zuverlässigen Getreideeinleger. Alle weiteren Hilfskräfte stellte der Hofbesitzer.

Aus der Erinnerung von Willi Rodejohann und den noch vorhandenen Unterlagen gehen weitere Anschaffungen zur betrieblichen Nutzung hervor:

  • 1925 Kreissäge
  • 1925  Strohbinder
  • 1926  Kaffgebläse
  • 1930  Sackaufzug
  • 1935  Strohpresse
  • 1938  Strohgebläse
  • 1952  Körnergebläse
  • 1955  Holzhackmaschine für DM 5.000,- von Hermann Fischer aus Levern b. Osnabrück
  • 1964  Schlepper Deutz 35 PS Bj. 1951  Typ F2M417/49 gebraucht für DM 3.500,-
  • 1966  Selbsteinleger
  • 1968 (8.4.1968) kauf einer gebrauchten Dreschmaschine vom Typ Petermann für  DM1.500,-.
  • 1978  Verkauf der Dreschmaschine nach Rietberg
Willi Rodejohann bei einer Ernte-Darstellung des Heimatvereins 2002

Das Einzugsgebiet, in dem die Firma Rodejohann tätig war, lag in einem Umkreis von rund 8 km. In Mastholte, Bad Waldliesborn und Lippstadt wohnten die Hauptkunden. Gelegentlich ging es auch nach Liesborn und Westenholz.

Neben dem Lohndrusch als Haupterwerb wurde Stroh gehäckselt, Holz geschnitten und Ast- und Strauchwerk maschinell zu Anmachholz zerkleinert. Selbst aus Baumstämmen schnitt Willi Rodejohann auf seiner Großblatt Kreissäge das Bauholz für Dachstühle.

Über weitere Arbeitsbereiche des Unternehmens konnten Beide aus ihren alten Unterlagen noch entnehmen:

Zehn Bauern aus Lippstadt droschen in ihrer Feldscheune. Die Helfer wurden von Mastholte eingesetzt und vom Bauer direkt mit DM 5,- / Std.(um 1953) bezahlt.

Stroh wurde von 1930 – 1990 gehäckselt. Das kostete um 1968 ca. DM 15,-/Std.

Das Holzschneiden begann mit der Gründung 1923 und ging bis 1990. Kleinholz und Astwerk wurde von 1955 – 1990 mit der Holzhackmaschine zerkleinert.

Zur alt hergebrachten Tradition wusste Willi Rodejohann noch folgendes zu berichten.

Nach der Einfuhr des letzten Getreides wurde ein Erntestrauch an das Deelentor oder an das Scheunentor genagelt. Am Ende eines Dreschtages sprach der Bauer zum gemeinsamen Abendessen das Tischgebet und dankte Gott für die erfolgte Ernte. Es war eine Selbstverständlichkeit, dass die Bäuerin ihre Helfer während und nach getaner Arbeit beköstigte. Häufig gab es Bambaja. Es ist eine Brotsuppe, aus Brotresten und Backpflaumen. Zusätzlich eine Milchsuppe mit Schwarzbrot und Pfannekuchen. Anschließend wurde gesungen, getanzt und natürlich auch getrunken.

Wenn auch Heinrich Rodejohann nicht als Vorläufer des landwirtschaftlichen Lohndreschens in Mastholte zu benennen ist, gab es noch weitere angehende Unternehmer, die es ihm gleichmachten.

Ein weiteres Lohnunternehmen entwickelte sich ebenfalls Ende der 20er Jahre in der damaligen Bauernschaft Möse. Josef Kleinewietfeld begann ebenfalls 1929 den Weg in das Lohndreschen. Sein Sohn Willi übernahm 1957 den Betrieb und baute die Anfänge seines Vaters zu einem landwirtschaftlichen Lohnunternehmen aus. Heute führt Helmut Kleinewietfeld in dritter Generation das Unternehmen als Agrar-Technisches Lohnunternehmen.

Auch Hermann Poll bereits, besaß um 1880 zwei Dreschgarnituren, die er um 1910 seinen Söhnen Hermann und Ferdinand überließ. Jeder von ihnen betrieb mit jeweils einer Dreschgarnitur eine Lohndrescherei. Ferdinand hatte für Kleinstlieferanten seinen Dreschplatz auf dem heutigen Hof  Schröder an der Lippstädter Str., vormals Steinkemper und Hermann auf dem Hof Niggemeier. In der nächsten Generation führte Hermann sein Sohn Hermi,  die Arbeiten noch bis 1964 fort. Das Ende der Lohndrescherei von Ferdinand seinem  Sohn Gerd war Ostern1972.

1977 gründete Eduard Frenser sein landwirtschaftliches Lohnunternehmen, welches er 1995 in ein Container-Dienst und Abbruchunternehmen umwandelte.

Zurück zu den Rodejohanns:

Hier eine Abschrift des Lebenslaufs von Willi Rodejohann aus dem Jahr 1958. Er benötigte diesen für seinen Antrag auf Ausstellung eines Siedler-Eignungsscheines zum Zwecke der Errichtung einer Nebenerwerbsstelle.

Mein Lebenslauf!

Ich bin geboren am 25.4.1922 als Sohn des Landwirtes Heinrich Rodejohann. Vom sechsten bis zum 14ten Lebensjahr besuchte ich die Katholische Volksschule. Ein Jahr war ich bei meinem Vater, 1936 bis 1939 war ich bei dem Bauer Jakob Ströer in Mastholte beschäftigt. Nebenbei besuchte ich drei Winter die landwirtschaftliche Fortbildungsschule in Mastholte II.

Wir hatten einen Kotten von 23 Morgen und eine Lohndrescherei, wo ich helfen musste. Herbst 1940 wurde ich einberufen zur deutschen Wehrmacht, bis Ende 1945. Ich verbrachte 4 ½ Jahre in der Sowjetunion. Bei Kriegsende wurde ich nach Hause entlassen. Zu meinem Vater, wo ich die Lohndrescherei aufrichtete. Im Jahre 1951, im Herbst, heiratete ich die Haustochter Luise Voß. Aus der Ehe gingen bisher zwei Kinder hervor. Im August 1954 übernahm ich die Lohndrescherei.

Er begründete seinen Antrag mit folgender Erkärung:

Als nachgeborener Bauernsohn habe ich von meinem Vater 1 Morgen Land erhalten. Ich bin im Besitz mehrer landw. Maschinen, die ich in landw. Betrieben im Lohnverfahren zum Einsatz bringe. Somit bin ich ausschließlich in der Landwirtschaft tätig und seit meiner Schulentlassung habe ich nur landwirtschaftliche Arbeiten verrichtet, so dass die Vorraussetzungen zur Ausstellung eines Siedler-Eignungsscheines gegeben sein dürften.

Ich bitte daher, meinem Antrag baldmöglichst zu entsprechen.

m Familienverbund haben Luise und Willi Rodejohann den Grundstock des Vaters zu einem ansehnlichen Unternehmen  ausgebaut. Das persönliche Gespräch, das ich im März 1997 mit Beiden führen durfte, war für mich ein besonderes Erlebnis. Beide waren noch voller Erinnerungen, teils emotional, dann wieder ruhig und besonnen, um sich gegenseitig wieder an ihr früheres Geschäft zu erinnern. Als größte Herausforderung, so führten beide aus, galt es einerseits die Kundschaft zufrieden zu stellen, die bevorzugt bedient werden wollte, vor allem dann, wenn sich schlechtes Wetter ankündigte, andererseits aber auch Maschinenschäden in der Hauptsaison. Es fehlten Ersatzteile – besonders in den ersten Jahren nach dem Krieg. So musste oftmals improvisiert werden. Handwerkliches Geschick mit technischem Verständnis waren die Voraussetzungen zum beruflichen Überleben.

Luise Rodejohann war sich sicher:

„Ohne die Hilfe vom lieben Gott hätten wir sicherlich einiges nicht so gut geschafft. Familie und Unternehmen unter einen Hut zu kriegen war nicht immer einfach. Willi war draußen bei den Bauern, und ich war zu Hause bei den Kindern, kümmerte mich um die Kundschaft, um die Abrechnung und um das Schriftliche.“

Luise und Willi Rodejohann zwischen 1952 und 1955

Aus Nachfolgermangel schlossen das Ehepaar Rodejohann nach rd. 50 Jahren ihr Unternehmen. 1973 meldeten sie das Gewerbe ab. Willi arbeitete noch einige Jahre in einer Mastholter Firma. Er führte aber noch zeitweise mit seiner Großblatt-Kreissäge und der Holzhackmaschine seine gewohnten Tätigkeiten weiter fort. Er verstarb am 5. Februar 2006. Seine Frau Luise starb am 13. Dezember 2007.

Persönliche Anmerkung:

Als Mitglieder im Heimatverein von Mastholte habe ich das Ehepaar Rodejohann kennen gelernt. Willi war immer zu begeistern wenn es darum ging, alte landwirtschaftliche Geräte wieder zum Leben zu erwecken und sie wieder zum Einsatz zu bringen. Besonders der vereinseigene Dreschkasten war sein liebstes Stück. Nach einem Scheunenbrand im Mai 1995 wirkte Willi maßgeblich an der Reparatur und Restaurierung dieser Maschine mit. Er war der Mann, der alle Funktionsabläufe und Besonderheiten kannte. Ich war beeindruckt, mit welch einer Zielstrebigkeit und Sicherheit er die Probleme anging. Es war immer noch seine Welt!

Willi Rodejohann im Erntedankumzug 1995
Drescharbeiten im Ernteumzug 2005

Bescheiden, wie Rodejohanns Willi auch war, so stolz war er, wenn diese, man möchte sagen, „seine“ Maschine zum Einsatz kam. In den alle fünf Jahre wiederkehrenden Erntedankumzügen war er dabei und präsentierte den Besuchern die Funktions- und Leistungsfähigkeit einer Maschine, die seinen unternehmerischen Anfang geprägt hat.

Für den Heimatverein Mastholte

März 2010, Gisbert Schnitker